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Oberösterreichisch

Abb. aus dem Sprachatlas von OÖ; © Adalbert-Stifter-Institut / StifterHaus

Adjektiva wie „oberösterreichisch“ oder „niederbayerisch“, wie „ostbelgisch“ oder „südchinesisch“ drücken zunächst einmal nur die Zugehörigkeit zu einem geografischen Territorium aus. Das ist bei Bergen, Steinen oder Gräsern – „oberösterreichischen“, „ostbelgischen“ usw. – wesentlich unproblematischer als im Zusammenhang mit Menschen und Menschenwerk. Die vorliegende Darstellung konzentriert sich auf Aspekte der Geografie, Geschichte und Sprache, verbunden mit Sprachgeschichte und Sprachgeografie.

Das Älteste, was das Gebiet des heutigen Oberösterreich aus sprachhistorischer Sicht zu bieten hat, sind sogenannte vordeutsche und vorslawische Namen wie zum Beispiel "Linz"  oder "Wels", wie "Gampern" oder "Gurten" - letzteres schon relativ leicht zu einem mittellateinischen "curtina" ("kleiner Hof") zu stellen -, dazu die Namen praktisch aller größeren Flussläufe, die diese Gegend in gesamteuropäische Kulturgeschichte einbinden. Hier ist allerdings nicht einmal die Mischung "oberösterreichisch". Etwas spezifischer wird das Ganze mit Blick auf die jüngere sprach- und namenkundliche Zeit, in etwa die letzten 1500 Jahre, denn vor anderthalb Jahrtausenden begann die sogenannte "nachvölkerwanderungszeitliche" Epoche, die Neukonstituierung aller kontinentaleuropäischen Ethnien, Sprachen und auch Identitäten. Zwischen Inn und Enns - um das Wort "Oberösterreich" zu vermeiden - und natürlich westlich davon bis zum Lech zogen nach dem Abzug Roms - Stichwörter in diesem Zusammenhang: Lorch, Passau, Vita Severini - von Westen her die Baiern ein und besiedelten das Land bis zur Enns (und dann auch weiter nach Osten). Von Osten her waren schon ein paar Jahrzehnte früher Slawen bis zu Krems und unterer Traun eingewandert. Die Zeugnisse dieser bairisch-slawischen Begegnung des Frühmittelalters sind mannigfach und zumindest für Sprachhistoriker auch beeindruckend, und sie sind durchaus auch "oberösterreichisch": zuallererst Stift Kremsmünster, 777 vom Baiernherzog zur Slawenmission gegründet, slawische Namen von "Garsten" über "Windischgarsten" bis "Gaflenz", dazu auch Benennungen von Slawendörfern von deutscher Seite, wie etwa im Fall der beiden Dörfer "Abwinden" und "Holzwinden" östlich von Linz: die einen "die Slawen am Fluss" - eigentlich die "Achwinden" -, die andern "die Slawen im Wald". Bedeutende sprachhistorische Zeugnisse dieser bairisch-slawischen Frühzeit kommen dazu: die "Raffelstetter Zollordnung", das "Placitum von Puchenau" und natürlich auch der "Stiftbrief" von Kremsmünster. Mit Baiern und Slawen sind hier freilich keine inzwischen wieder untergegangenen Völker des (frühen) Mittelalters gemeint, sondern die bis heute grundlegende ethnische Basis der Oberösterreicher.

Obwohl die slawische Seite der späteren oberösterreichischen Geschichte und Identität vielen nicht so bewusst sein mag, ist sie doch auch symptomatisch für die Jahrhunderte danach und seitdem, geprägt von einer Dualität zwischen West und Ost. Fürs Erste ist die Richtung, in die man von hier aus blickt, eindeutig der Westen. Baiern reicht bis zur Enns, die letzten Wörter in slawischer Muttersprache westlich der Enns sind definitiv vor dem Jahr 1000 verklungen. Östlich der Enns herrschen zu dieser Zeit nach Hunnen und Awaren die Ungarn über nur schütter siedelnde Baiern und Slawen, als kulturhistorisches Zeugnis ersten Ranges hat diesbezüglich lange der ungarische Begriff vom "óperenciás tenger", interpretiert als "obderennsisches Meer" und stellvertretend für ein "fernes Land am Ende der Welt", gegolten. Neuere Forschungen haben ihm und vor allem Oberösterreich diesen Nimbus geraubt, denn damals dürfte noch niemand quasi usuell von einem Land "ob der Enns" gesprochen haben, geschweige denn von Oberösterreich.

So wie in den letzten Jahrzehnten am Eisernen Vorhang stand man damals an der Enns mit dem Rücken zur Wand und war sprachlich wie kulturell einfach nur Teil Altbaierns. Band 1 der 1978 von Hans Pörnbacher herausgegebenen Bayerischen Bibliothek verzeichnet deshalb mit gutem Recht und historisch korrekt auch das erwähnenswerte Schrifttum aus dem Gebiet des heutigen Oberösterreich, mit Namen wie jenen der Minnesänger  Dietmar von Aist und Der von Kürenberg, mit Gerhoch von Reichersberg genauso wie Wernher dem Gärtner und seinem Meier Helmbrecht. Dem Problem begegnet auch Fritz Peter Knapp in seiner Literaturgeschichte des Früh- und Hochmittelalters, indem er die Bistümer Passau, Salzburg, Brixen und Trient als Territorien zu Grunde legt, darin erwähnt und hier hervorzuheben die sogenannten Mondsee-Wiener-Fragmente, Übersetzungsliteratur des Frühmittelalters im heute oberösterreichischen Raum, erwähnenswert vor allem deshalb, weil wir in ihnen das wohl älteste Zeugnis der Volkssprache hierzulande vor uns haben, quasi "Prä-Oberösterreichisch":
"Lobo enti frauui dih, siones tohter, bidiu huuanta see ih quimu enti in dir mitteru arton, quad truhtin. E[.]ti in demo tage uuerdant manago deotun kasamnato za truhtine enti uuerdant mine liuti, [.]nti ih arton in dir mitteru. Enti du uueist daz uueradeota truhtin sentita mih za dir." ["Preise und freue dich, Sions Tochter, denn siehe, ich komme und wohne mitten in dir, sprach der Herr. Und an diesem Tage werden viele Völker versammelt zum Herrn und werden meine Leute, und ich wohne mitten in dir. Und du weißt, dass der Herr des Volkes mich zu dir sandte."]

Zum klösterlichen Netzwerk frühmittelalterlicher Schriftkultur passt der weitere sprachliche Befund zur Eingebundenheit des Landes bis zur Enns in Altbaiern, die Ortsnamenlandschaft mit zuweilen flächendeckenden Konzentrationen von Ortsnamen auf die Endung "-ing" wie z. B. im Linzer Raum, wo sich Leonding, Pasching, Wilhering, Hörsching, Rufling, Hitzing, Thening, Oftering und viele andere ballen (nicht anders als im ganzen weiteren Altbaiern gut 300 Kilometer westwärts), und natürlich auch der volkskundlich-dialektologische Befund, denn - und das zeigen uns die grundmundartlichen Erhebungen zum Sprachatlas von Oberösterreich - die heute in Oberösterreich gesprochenen Dialekte spiegeln in ihren Grundzügen das Frühmittelalter wider. Im quasi inner-donaubairischen Vergleich sind sie so konservativ, dass sie - natürlich zusammen mit weiteren, volkskundlichen Erscheinungen - große bayerische Historiker des 20. Jh. wie Karl Bosl oder Benno Hubensteiner dazu verleitet haben, von Oberösterreich als der "Bavaria bavaricissima" zu sprechen.

Diese bis heute konstatierbare grund-sprachliche Konservativität erklärt sich natürlich nicht nur aus dem Frühmittelalter, sondern aus der territorialpolitischen Peripherisierung der Neuzeit. Der oberösterreichische Landeshistoriker Hans Sturmberger hat mehrfach aufgezeigt, wie der Raum zwischen Hausruck und Enns in Spätmittelalter und früher Neuzeit sukzessive und gezielt umgepolt worden ist, Österreich, das ab dem Jahre 1156 - Privilegium minus - formell nicht mehr Teil Baierns war, auf das Land "ob der Enns", der alten österreichischen Westgrenze, zugegriffen hat, sodass schließlich aus "Ostbaiern", der "Bavaria orientalis" (Nibelungenlied: das heutige Oberösterreich als der östliche Teil "Beyerlands"), "Oberösterreich", "Austria superior", geworden ist. Erst seitdem bestand für das alte, eigentliche Österreich die Notwendigkeit, sich Niederösterreich zu nennen. Der Gewinner gibt die Terminologie vor und prägt die historische "Verortung". Die jahrhundertelange Landesgrenze zwischen Baiern und Österreich von Engelhartszell bis St. Wolfgang hat zu einer Peripherisierung der Gegenden zu ihren beiden Seiten geführt und erklärt, warum Inn- und Hausruckviertel bis heute sprachlich so konservativ sind und damit auch in ihren Grundzügen einander so ähnlich, altbairisch nämlich, zusammen mit dem heutigen Ostbayern westlich des Inns tatsächlich eine dialektale und dialektologische "Bavaria bavaricissima" bildend. Bis heute wirkt auch östlich von Krems und Traun die alte obderennsische Slavia nach, greifbar in merklicher Modernität, typisch für - so unglaublich dies als Reflex 1000 Jahre danach auch scheinen mag - Bevölkerungen, die einen Sprachwechsel vollzogen haben und sich dann an soziologisch höheren sprachlichen Ebenen der Zielsprache orientieren.

So scheint - zeitlich und räumlich zentral verortet im deutschsprachigen, bayerisch-österreichischen Donauraum (Donau), dieser quasi die "weitere Heimat" Oberösterreichs - "oberösterreichisch" diese Eigenschaft der "peripheren Mitte" zu sein, die sich sprachlich, sprachhistorisch und sprachsoziologisch heute nicht nur in einer charakteristischen West-Ost-Staffelung Oberösterreichs zeigt, sondern ebenso in eigenständigen sprachlichen Formen und Entwicklungen, auch in der Gegenwart und insbesondere vom sogenannten "oberösterreichischen Zentralraum" ausgehend.

Hermann Scheuringer

 

Sprachatlas von Oberösterreich (SAO). Hg. vom Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich. Linz 1998ff. [Bis dato erschienen: Kartenband I, Einleitungskarten und Lautgeographie I, IV + 204 Karten. 2003; Kartenband II, Lautgeographie II, Lieferungen 1 bis 4: Karten II, 1 - II, 128; Kartenband IV, Wortgeographie I, 200 Karten und Kommentar zu Band IV.] - Baiernzeit in Oberösterreich. Katalog des Oberösterreichischen Landesmuseums 96. Linz 1977. - Baiern und Slawen in Oberösterreich. Probleme der Landnahme und Besiedlung. Linz 1980. - Bayerische Bibliothek. Texte aus zwölf Jahrhunderten, Bd. 1 (Mittelalter und Humanismus). München 1987. - Haider, Siegfried: Geschichte Oberösterreichs. Wien 1987. - Knapp, Fritz Peter: Die Literatur des Früh- und Hochmittelalters in den Bistümern Passau, Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273. Graz 1994. - Scheuringer, Hermann: Altbaiern-Ost - Zur historischen Sprachgeografie der Bavaria bavaricissima. In: Die bairische Sprache. Studien zu ihrer Geographie, Grammatik, Lexik und Pragmatik. Festschrift für Ludwig Zehetner. Regensburg 2004, 41-53.- Sturmberger, Hans: Land ob der Enns und Österreich. Aufsätze und Vorträge. Wien 1979.