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Stift St. Florian

© Stift St. Florian

Erstmals 888 urkundlich erwähntes, um 1071 von Bischof Altmann von Passau (um 1015-1091) reformiertes und Augustiner Chorherren übergebenes Kloster südlich von Linz, seit dem 11. Jh. Stätte regionaler und überregionaler Literatur- und Musikproduktion.

I. Mittelalter
Das älteste literarische Dokument der Stiftsbibliothek St. Florian ist ein Fragment des mittellateinischen Versromans Ruodlieb, das Ende des 11. Jh. von einem unbekannten Autor aus dem Kloster Tegernsee geschrieben worden sein dürfte. Um 1100 formierte sich in St. Florian eine Schreibwerkstatt, deren erstes Meisterwerk die Riesenbibel von St. Florian (um 1140/50) war.
Die ersten eigenen literarischen Erzeugnisse waren Sequenzen (geistliche Liedform) zu besonderen Festtagen des Hauses (Hl. Florian, Hl. Augustinus, Kirchenpatrozinium Mariä Himmelfahrt). Mit 17 Texten zählte St. Florian zu den österreichischen Zentren der Sequenzenproduktion, darunter die Floriansequenz In agone spe coronae (12. Jh.). Sie wurde im 13. Jh. durch die Sequenz Salve, martyr gloriose ersetzt, die bis 1963 in Verwendung blieb.
Im Rahmen der Osterfeier kam in St. Florian ein Osterspiel zur Aufführung, das noch ganz in die Liturgie eingebunden und auf die breit dargestellte Grabesszene beschränkt war; schriftliche Zeugnisse gibt es aus dem 13. bis 16. Jh. Aus St. Florian stammt ferner die heute in der Staatsbibliothek Berlin aufbewahrte früheste Handschrift (Anfang 13. Jh.) der berühmten Verserzählung Der arme Heinrich Hartmanns von Aue (ca. 1170-1220). Ein frühes Fragment der Kaiserchronik (um 1200) befindet sich nach wie vor in der Stiftsbibliothek.
Der erste bedeutende Gelehrte des Stiftes war Altmann von St. Florian (ca. 1150-1221/23, ab 1212 Propst). Er dichtete die Passio sancti Floriani (wohl nach 1200) nach einer Prosa-Vorlage. Sein versifizierter Kommentar zum Hohelied gilt als umfangreichster lateinischer Hoheliedkommentar des Mittelalters. Altmanns kanonistische Werke wie die Ysagoge iuris (Einführung ins Recht) markieren den Beginn der lateinischen Sachbuchdichtung im deutschsprachigen Raum.
An der Wende vom 13. zum 14. Jh. wurde St. Florian zu einem Zentrum der gotischen Monumental- und Buchmalerei in Österreich. Die St. Florianer Maler orientierten sich an den damals modernsten Malschulen in Paris und illuminierten dutzende Codices, darunter das prachtvolle Missale des Heinrich von Marbach (1306) und eine Biblia pauperum (um 1310). Einwik Weizlan (um 1240-1313, ab 1295 Propst) verfasste mit seiner Kirchweihchronik die erste Stiftsgeschichte und begleitete als Beichtvater die Klausnerin Wilbirg (um 1230-1289), deren Visionen und Erlebnisse er in der Vita Wilbirgis schildert. Eine bedeutende Quelle zur Rezeption deutscher Mystik im 14. Jh. ist die Handschrift XI 123 mit Texten u. a. von Meister Eckhart (ca. 1260-1328) und David von Augsburg (um 1200-1272). Eine deutsche Übersetzung des populären Schachbuchs von Jacobus de Cessolis (gest. ca. 1322) enthält 14 kolorierte Federzeichnungen. Vom Wirken der Steine handelt das versifizierte St. Florianer Steinbuch.

II. Humanismus, Barock, Aufklärung
Wichtige Reformimpulse gaben dem Stift die Visitationen von 1419 und 1451. Der Stiftsschullehrer und Chorherr Matthias Steinhehler (gest. 1467) gehörte einem humanistisch gebildeten Freundeskreis an, der sich in kunstvollen lateinischen Briefen austauschte. Um 1400 wurde die Chronik von Goisern aufgezeichnet, sie schließt mit einem fiktiven, aus älteren Reiseberichten kompilierten Bericht über eine Indienfahrt, die der Verfasser Koloman Mühlwanger (gest. ca. 1418) auf päpstlichen Befehl hin unternommen haben will. Codex XI 585 enthält die älteste deutsche Prosaübersetzung von Homers Ilias, die Johann Baptist Rexius 1584 anfertigte. Im Bereich des weltlichen Theaters gab es in St. Florian eine lange Tradition in der Aufführung von Faschingskomödien. Die Lateinschule des Stiftes, in der sicher regelmäßig Theateraufführungen stattfanden, erlosch in den 1620er Jahren.
Ende des 17. Jh. wurde im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs die Pflege von Musik und Theater zum tragenden Symbol feudaler Repräsentation. Anlässe waren die Besuche hoher Persönlichkeiten aus Kirche und Staat, Festtage von Pröpsten und kirchliche Feiertage. 1677 ließ David Fuhrmann (Propst von 1667-1689) das Florian-Stück Vorbild Christlicher Beständigkeit eines unbekannten Autors aufführen. Beim Besuch von Kaiser Leopold I. stand 1680 ein nicht erhaltenes Drama des Chorherren Johann Paul Perger (1643-1709) auf dem Programm. 1689 kam im Fasching das dreiaktige Stück Freud und Traurigkeit weltlicher Begebenheiten zur Aufführung, das auf aktuelle Kriegsereignisse Bezug nahm. Das Inventar des Stiftstheaters von 1690 zählt einen reichen Fundus an Kostümen und Requisiten auf.
Unter Johann Baptist Födermayr (Propst von 1716-1732) erreichte die Musik- und Theaterbegeisterung im Stift einen Höhepunkt. 1727 wurde zu seinem Namenstag der "Applausus" Musicalischer Wett-Streit der Künsten aufgeführt, der ihn als Baupropst verherrlichte. Um 1730 ließ er ein eigenes Komödienhaus erbauen. 1733 kam bei der Einweihung des Marmorsaals das Cyrus-Drama Ein wahrer Tugend-Geist der Cron recht würdig heist zur Aufführung. Zum Jahrestag der Propstwahl von Engelbert Hofmann gab es 1756 das Schauspiel Joseph in Egypten zu sehen. 1778 kam bei der Spieloper Il Natale di Giove (Libretto von Pietro Metastasio) auch eine Wolkenmaschinerie zum Einsatz. Unter Regens chori (Chorleiter) Franz Joseph Aumann (1728-1797), der mehrere Singspiele nach Texten des Lambacher Benediktiners Maurus Lindemayr und Karfreitagsoratorien komponierte, erlebte die barocke Musik- und Theatertradition eine letzte Blüte.

III. 19. und 20. Jahrhundert
In den Napoleonischen Kriegen publizierte Josef Reither (1750-1809) neben Gelegenheitsgedichten auch patriotische Lyrik, die er 1798 beim Besuch von Erzherzog Karl vortragen konnte. 1806 hielt sich die berühmte Wiener Dichterin und Salondame Karoline Pichler (1769-1843) im Stift auf. Von 1806 bis 1810 gehörte der Lyriker und Schubert-Freund Johann Mayrhofer (1787-1836) als Novize und Kleriker dem Stift St. Florian an. Reithers Mitbruder Josef Gugger (1785-1837) publizierte in den Jahren 1813/14 patriotische Gedichtbände und hinterließ 1500 Gedichte. Unter Propst Michael Arneth (1777-1854, ab 1823 Propst) stand das Haus vielen Künstlern offen. 1825 kam Franz Schubert (1797-1828) zu einem Konzert nach St. Florian, ein Jahr später der Dramatiker Eduard von Bauernfeld (1802-1890). Mitte Oktober 1826 übernachtete Franz Grillparzer (1791-1872) auf der Rückreise von Weimar im Stift, wo ihm Lieder von Franz Schubert vorgetragen wurden.
1853 nahm der Chorherr Ernst von Marinelli (1824-1887) auf Einladung Adalbert Stifters an einer patriotischen Pilgerfahrt in das Heilige Land teil und publizierte dazu den Gedichtband Des Sängers Pilgerfahrt (1855). Anton Bruckner (1824-1896) vertonte rund ein Dutzend Gedichte Marinellis - mehr als von jedem anderen Autor. Marinellis Bibeldrama Saul (1869) wurde auch von Burgtheaterdirektor Heinrich Laube gelobt. Der Chorherr Wilhelm Pailler (1838-1895) schrieb kleine Theaterstücke für Schulen und Laienspielgruppen und Faschingskomödien wie Gambrinus im Olymp (1865) und Kaiser Tiberius (1873) für die Stiftsbühne. Seine zweibändige Sammlung von Weihnachts- und Krippenspielen (1881 und 1883) machte ihn zum Begründer der Volksliedforschung in Oberösterreich. Der Komponist und Chorherr Franz Xaver Müller (1870-1048) schuf ebenfalls Faschingskomödien. Sein Festspiel Immaculata war 1905 am Linzer Landestheater zu sehen.
Vom Chorherrn Christoph von Chiusole (1875-1943) erschienen religiöse Festspiele und die Tragödie Gaius Gracchus (1905) im Druck. Sein Mitbruder Julius Arnleitner (1877-1941) publizierte in den 1920er Jahren Possen für christliche Schul- und Volksbühnen. Johannes Hollnsteiner (1895-1971) war als geistlicher Berater Alma Mahler-Werfels (1879-1964) vorübergehend auch mit Franz Werfel (1890-1945) befreundet, verließ aber 1941 das Stift. Die Schriftstellerin Luise George Bachmann (1903-1976) lebte nach 1945 abwechselnd in Wien und im Stift St. Florian und schrieb viel gelesene historische Romane wie Bruckner - Der Roman der Symphonie (1938) und Wilbirg (1948). In jüngster Vergangenheit vertonte der Komponist und Chorfrater Augustinus Franz Kropfreiter (1936-2003) Texte oberösterreichischer Autoren und Autorinnen u. a. von Richard Billinger und Gertrud Fussenegger.

Friedrich Buchmayr

 

Buchmayr, Friedrich: Regula Augustini und Ruodlieb. Codex XI 249 der Stiftsbibliothek St. Florian. In: Jahrbuch der Österreichischen Augustiner-Chorherren-Kongregation 2006, 82-92. - Ders.: Der Priester in Almas Salon. Weitra 2003. - Ders.: Josef Reither, Josef Gugger, Wilhelm Pailler, Ernst von Marinelli. In: Friedrich Wilhelm und Traugott Bautz (Hg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Nordhausen 1975ff., Bd. 20, 670-672, 1141-1146 u. 1206-1209; Bd. 29, 906-910. - Czerny, Albin: Aus dem geistlichen Geschäftsleben in Oberösterreich im 15. Jahrhundert. Linz 1882. - Ders.: Kunst und Kunstgewerbe im Stifte St. Florian. Linz 1886. - Die Vita Wilbirgis des Einwik Weizlan. Kritische Edition und Übersetzung von Lukas Sainitzer. Linz 1999. - Fuhrich, Fritz: Theatergeschichte Oberösterreichs im 18. Jahrhundert. Wien 1968. - Knapp, Fritz Peter: Die Literatur des Früh- und Hochmittelalters in den Bistümern Passau, Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273. Graz 1994. - Mühlbacher, Engelbert: Die literarischen Leistungen des Stiftes St. Florian bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Innsbruck 1905. - Praßl, Franz Karl: Psallat ecclesia mater. Studien zu Repertoire und Verwendung von Sequenzen in der Liturgie österreichischer Augustinerchorherren vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Diss. Universität Graz 1987. - Rehberger, Karl; Wunschheim Christiane u. Johannes: Bibliographie zur Geschichte des Stiftes St. Florian. Linz 2006. - Schiffmann, Konrad: Drama und Theater in Österreich ob der Enns bis zum Jahre 1803. Linz 1905. - Schmidt, Gerhard: Die Malerschule von St. Florian. Linz 1962. - Stelzer, Winfried: Altmann von St. Florian. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 84 (1976), 60-104. - Sturm, Albert: Theatergeschichte Oberösterreichs im 16. und 17. Jahrhundert. Wien 1964.