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Riesenbibel von St. Florian

Manuskriptseite der Handschrift; © Stift St. Florian

Die Riesenbibel von St. Florian zählt mit ihren 66 x 48 cm zu den größten Handschriften Österreichs und dürfte um 1140/50 im Stift St. Florian angefertigt worden sein.

Der Buchtyp ist im Rahmen der Gregorianischen Reform ab der Mitte des 11. Jh. in Italien entwickelt worden. Die Stellung der Bibel als Buch der Bücher sollte bereits äußerlich durch das imposante Format und die reiche künstlerische Ausstattung zum Ausdruck gebracht werden. Eine Riesenbibel zu produzieren war für ein Skriptorium (Klöster, Skriptoren, Handschriften) eine große künstlerische und finanzielle Herausforderung. Dass ein derartiges Großprojekt im noch jungen, erst um 1071 reformierten Augustiner-Chorherrenstift St. Florian begonnen werden konnte, spricht für die Aufbruchstimmung in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, aber auch für das inzwischen gewonnene gesellschaftliche Ansehen und das wirtschaftliche Pouvoir. Die Riesenbibel von St. Florian war das Hauptwerk des romanischen Skriptoriums, das sich um 1100 formiert haben dürfte.

Der heute noch vorhandene Einzelband wurde im 15. Jh. aus den Resten von ursprünglich wohl drei Bänden gebildet. Die 357 Pergamentblätter enthalten die fünf Bücher Mose, die Bücher Josua, Richter, Rut, Könige, Chronik, Sprichwörter, Kohelet, Hohelied, Weisheit, Jesus Sirach, Ijob, Tobit, Judit, Ester, Jeremia, Baruch des Alten Testaments, aus dem Neuen Testament Offenbarung, die sieben Katholischen Briefe und die Apostelgeschichte sowie Teile der Briefe an die Philipper und an die Kolosser. Die reiche künstlerische Ausstattung umfasst zwei ganzseitige Miniaturen und 54 Initialen in verschiedenen Größen, davon 13 mit Figuren. Einzelne Fragmente befinden sich im Oberösterreichischen Landesarchiv und in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien.
An der Niederschrift des Textes waren mehrere Schreiber beteiligt, die ihre Arbeit offenbar über weite Strecken lagenweise aufteilten. Das bestimmende Element in der künstlerischen Ausstattung sind 29 große, manchmal die gesamte Buchseite einnehmende und damit über einen halben Meter hohe farbenfrohe Deckfarbeninitialen, die nach einer italienischen Vorlage kopiert wurden. Zu diesen sogenannten geometrischen Initialen italienischen Stils kommen Miniaturen und variantenreiche Rankeninitialen, die in der Tradition des süddeutsch-bayerischen Raums stehen. Im Figurenstil gibt es wiederum Verwandtschaften zu älteren Salzburger Handschriften. Mit diesem unvermittelten Nebeneinander von italienischen und einheimischen Formen nimmt die Handschrift in der romanischen Buchmalerei nördlich der Alpen eine Sonderstellung ein.

Zahlreiche Korrekturen und Nachträge aus verschiedenen Zeiten bezeugen eine intensive,  jahrhundertelange Verwendung im Stift St. Florian. Die Riesenbibel kam ursprünglich jedoch nicht bei der Messfeier zum Einsatz, sondern im Rahmen des klösterlichen Chorgebets bei der Matutin, die gleich nach Mitternacht gehalten wurde. In der Matutin wurden im Laufe des Kirchenjahres alle Bücher der Bibel in einer genau festgelegten Reihenfolge gelesen ("lectio continua"). Dieser Leseordnung folgte ursprünglich wohl auch die Bindung der Riesenbibel. Erst im 15. Jh. kam es zu einer Umgruppierung nach dem Kanon der Vulgata, womit die heutige Ordnung hergestellt wurde. Die Lagen dürften zuvor schon über einen längeren Zeitraum hinweg offen gelegen sein. Dabei gingen große Teile aus unbekannten Gründen verloren. Ab 1637 war die Riesenbibel außer Gebrauch und wurde in die Bibliothek eingereiht.

Friedrich Buchmayr

 

Buchmayr, Friedrich; Rehberger, Karl; Simader Friedrich: Die Riesenbibel von St. Florian. Graz 2008 (mit weiterer Literatur).