Suche
Hauptinhalt

NACHRUF AUF ALFRED DOPPLER (1921–2025)

Foto: Johannes John

Foto: Johannes John

von Wolfgang Wiesmüller

Am 9. Juni 2025 ist Alfred Doppler kurz vor seinem 104. Geburtstag verstorben. Bis zuletzt galt sein Interesse der Literatur, die ihm, seitdem seine Augen nicht mehr mitgemacht haben, vorgelesen werden musste. Die Welt der Literatur, sie hat sein reichhaltiges und erfülltes Leben begleitet und geprägt.

Alfred Doppler wurde am 12. Juni 1921 in Linz geboren und besuchte dort von 1932 bis 1941 das Akademische Gymnasium. Nach seinem Kriegseinsatz als Marinesoldat begann er 1945 das Lehramtsstudium für Deutsch und Geschichte an der Universität Graz. Neben der Option einer Schauspielausbildung hat er sich schließlich für den Lehrberuf entschieden, den er von 1948 bis 1968 an Grazer Gymnasien ausgeübt hat. Nach der Promotion zum Doktor der Philosophie im Fach Germanistik 1949 folgte 1964 die Habilitation für Neuere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Graz mit der Schrift Der Abgrund. Studien zur Bedeutungsgeschichte eines Motivs (Graz 1968). An der Universität Graz begann auch seine universitäre Laufbahn, wo er von 1964 bis 1968 als Privatdozent gelehrt hat. Nach Lehrstuhlvertretungen für Roger Bauer und Hermann Kunisch am Institut für Deutsche Philologie an der Universität München zwischen 1968 und 1970 kehrte er als Oberassistent für österreichische Literatur an die Grazer Germanistik zurück. 1971 wurde er auf den Lehrstuhl für „Österreichische Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft“ an die Universität Innsbruck berufen. Das sollte sich als großer Gewinn für die Innsbrucker Germanistik erweisen, denn mit Alfred Doppler hielt die moderne Literatur bis herauf zur Gegenwartsliteratur Einzug in die Curricula. Eilte ihm schon der Ruf eines ausgezeichneten Didaktikers voraus, so sollte er ihn in Innsbruck noch übertreffen. Mit seiner Sachkenntnis, seinem Engagement und seiner leidenschaftlichen Art und Weise der Auseinandersetzung mit Sprache und Literatur vermochte er die Studierenden zu begeistern, sodass Hörsäle und Seminarräume meist überfüllt waren. Er hat auf diese Weise Generationen von Lehrerinnen und Lehrern ausgebildet, damit die Entwicklung des Deutschunterrichts nachhaltig geprägt und den Lektürekanon modernisiert. Er ist dem Ideal einer Verbindung von Forschung und Lehre in höchstem Maße nachgekommen und hat seine wissenschaftlichen Arbeiten, wie er selbst gerne betonte, aus Vorlesungen und Seminaren heraus entwickelt. Zu seinen Schwerpunkten zählen die österreichischen Klassiker Grillparzer und Stifter, die österreichische Literatur der Moderne mit Hofmannsthal, Kafka, Rilke und Trakl sowie Broch, Musil und Canetti, die Dramen von Schnitzler und Horváth bis zur österreichischen Literatur der fünfziger und sechziger Jahre mit den Autoren der Wiener Gruppe, Ernst Jandl sowie weiter herauf zu Peter Hanke, Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek. Alfred Doppler hat Jelinek bereits in sein Seminar eingeladen, nachdem sie ihren ersten Roman veröffentlicht hatte. Einen Querschnitt von Alfred Dopplers Arbeiten zur österreichischen Literatur enthält der Band Geschichte im Spiegel der Literatur. Aufsätze zur österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts (Innsbruck 1990).

Wie breit und umfangreich das wissenschaftliche Œuvre ist, das Alfred Doppler vorgelegt hat, zeigt das Schriftenverzeichnis in der ihm zum 100. Geburtstag gewidmeten Jubiläumsschrift Ein Festgeschenk (Innsbruck 2021).

Alfred Doppler hat sich in seinen Arbeiten nie einer methodischen Modeströmung angeschlossen, sondern verschiedene Zugänge zur Literatur miteinander verbunden, wobei immer die Auseinandersetzung mit dem Text im Mittelpunkt gestanden ist, sowohl unter formal-ästhetischen Aspekten als auch in Bezug auf historisch-gesellschaftliche Kontexte. Literatur war für ihn ein einzigartiges und unverzichtbares Medium der Reflexion, für den Lebensvollzug einerseits, für Erkenntnisse über historische und gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen andererseits.

Zwei Autoren haben Alfred Doppler bis an sein Lebensende beschäftigt: Zum einen ist das Georg Trakl, dessen schwierige und umfangreiche Gedichte er auswendig vorzutragen wusste. Die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit dem Lyriker, die in enger Verbindung mit dem Innsbrucker Forschungsinstitut „Brenner-Archiv“ sowie dem „Trakl-Forum“ in Salzburg erfolgte, sind in dem Band Die Lyrik Georg Trakls. Beiträge zur poetischen Verfahrensweise und zur Wirkungsgeschichte (Salzburg 2001) zusammengefasst.

Zum anderen ist es Adalbert Stifter, mit dessen Werk sich Alfred Doppler wiederholt und kontinuierlich auseinandergesetzt hat. Mit seinen Arbeiten zu Stifter ist er wesentlich an der in den 1970er-Jahren beginnenden Entwicklung neuer Zugänge zu dessen Werk beteiligt. Das Bild vom konservativen Biedermeierdichter wurde abgelöst, indem man die Spannungen und Brüche unter einer geordneten Oberfläche zum Vorschein gebracht hat und die Komplexität und Vielschichtigkeit seiner literarischen Verfahrensweise als Vorläufer der Moderne bewertet hat. Sein Credo der Stifterforschung hat er wie folgt formuliert:

„Sie muß die historischen Voraussetzungen und Bedingungen rekonstruieren, unter denen Stifter gelebt und gearbeitet hat, und zugleich seine von ihm in dieser spezifischen Situation entwickelte, unwiederholbare literarische Verfahrensweise erkennbar machen.“ (Formen und Möglichkeiten der wissenschaftlichen Stifter-Rezeption, 1985).

Das Thema Natur ist wie in Stifters Werk auch eine Konstante in Alfred Dopplers Arbeiten zu diesem Autor. So sei die Natur bei Stifter nicht mehr symbolische Spiegelung des Inneren der Figuren, sondern es geht um die Kommunikation zwischen Mensch und Natur. „Landschaft und Mensch durchdringen einander“, wobei die Wechselwirkung von „Lebensraum und Lebensform“ sichtbar wird (Naturbeschreibung als Menschendarstellung, 1990). Umfang und Vielfalt von Alfred Dopplers Arbeiten zu Stifter hat der Verfasser in seinem Beitrag Adalbert Stifter im Fokus eines Forscherlebens in der genannten Jubiläumsschrift zum 100. Geburtstag dargelegt.

Ein Kontinuum für Alfred Dopplers Beitrag zur Stifterforschung ist seine Hauptherausgeberschaft der Historisch-Kritischen Gesamtausgabe der Werke und Briefe Adalbert Stifters. Als 1968 bei einem Stifter-Symposium in Bad Hall der Beschluss gefasst wurde, eine neue historisch-kritische Stifter-Ausgabe zu veranstalten, war er ein Mann der ersten Stunde, der dieses Großprojekt in die Wege geleitet hat. Gemeinsam mit Wolfgang Frühwald vom Institut für Deutsche Philologie der Universität München hat er eine Gruppe von Germanistinnen und Germanisten aus Österreich und Deutschland zusammengestellt, die die Arbeit an der Herausgabe der Bände aufgenommen haben. Die Ausgabe war von Anfang an als bilaterales österreichisch-deutsches Projekt konzipiert und wurde schließlich in die „Kommission für Neuere deutsche Literatur“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen, wo sie bis zum heutigen Tag angesiedelt ist. Bis zum Jahre 2021 sind unter dem österreichischen Hauptherausgeber Alfred Doppler, seit 2001 gemeinsam mit seinem deutschen Gegenüber Hartmut Laufhütte, 41 Bände erschienen, seit 1998 25 Bände in jährlicher Folge. Die Stifter-Ausgabe zählt damit zu den erfolgreichsten Editionsprojekten der Germanistik, was zu einem Großteil Alfred Doppler zu verdanken ist, der bis zuletzt Motor und Mentor der Ausgabe gewesen ist. Neben der Hauptherausgeberschaft war Alfred Doppler auch als Bandbearbeiter tätig und hat gemeinsam mit dem Verfasser Stifters historischen Roman Witiko in drei Text- und zwei Kommentarbänden herausgegeben.

Ein wichtiges Instrument des Erfolgs der Ausgabe waren die jährlichen Mitarbeiter-Konferenzen, die abwechselnd in München, Innsbruck, Salzburg und Linz stattgefunden haben, in den letzten Jahren trifft man sich kontinuierlich im Adalbert-Stifter-Institut in Linz. Alfred Doppler hat diese Konferenzen mit großer fachlicher Kompetenz und mit der ihm eigenen Begeisterungsfähigkeit bis ins hohe Alter geleitet und war auch immer geistesgegenwärtig, wenn es um wichtige Entscheidungen gegangen ist. Dabei ist er nie raumgreifend aufgetreten, hat sich nie in den Mittelpunkt gestellt, sondern war stets ein Primus inter pares. In den Pausen gab es immer persönliche Gespräche mit ihm, die von großer Empathie geprägt waren. So hat Alfred Doppler eine Atmosphäre der konstruktiven Zusammenarbeit und der kollegialen Gemeinschaft geschaffen, die über Jahrzehnte hinweg erhalten geblieben ist.

Begleitet wurde die Herausgebertätigkeit, wie bereits erwähnt, durch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zum Gesamtwerk Adalbert Stifters, mit denen Alfred Doppler nicht nur die Stifterforschung nachhaltig geprägt hat; sie haben auch Eingang in die editorische Arbeit gefunden und inspirierend auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewirkt. Von ihnen wurden im Verlauf der Jahre über 200 Veröffentlichungen zu Stifter verfasst, wodurch die Stifter-Ausgabe zu einem Kristallisationspunkt der Stifter-Forschung geworden ist. Der letzte große Impuls, den Alfred Doppler der Stifter-Ausgabe gegeben hat, waren seine Studien zu den Briefen Stifters; sie sind zu einer wichtigen Voraussetzung für die Edition der Briefe im Rahmen der Ausgabe geworden; sein Paradigmenwechsel, Briefe nicht als biografische Quelle, sondern als poetische Texte zu betrachten, hat die Kommentierung der Briefe nachhaltig beeinflusst. Jedem Band der 11. Abteilung der Stifter-Ausgabe, die Stifters Briefe enthält, wird Dopplers Einführung Die Briefe Adalbert Stifters vorangestellt.

Alfred Doppler war auch im Ausland ein angesehener Referent und Lehrer. Neben der Teilnahme an zahlreichen internationalen Symposien war er Gastprofessor an den Universitäten Pécs, Łwiw (Lemberg) und Szeged sowie von 1975 bis 1991 im Zweijahresrhythmus Mitglied der Fakultät der deutschen Sommerschule am Middlebury-College Vermont (USA).

Seine Expertise konnte Alfred Doppler in verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen einbringen. So war er seit 1974 Mitglied des Adalbert-Stifter-Institutes des Landes Oberösterreich, von 1978 bis 2006 Mitglied der „Kommission für Literaturwissenschaft“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie Mitglied des bilateralen, von Moritz Csáky geleiteten „Literatur- und kulturwissenschaftlichen Komitees der Österreichischen und Ungarischen Akademie der Wissenschaften“, ebenso von 1986 bis 2015 Mitglied der „Kommission für Neuere deutsche Literatur“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des nachfolgenden „Ausschusses“ und schließlich von 1993 bis 2016 Vorsitzender des „Internationalen Trakl-Forums Salzburg“.

Die wissenschaftlichen Leistungen Alfred Dopplers wurden durch zahlreiche Preise ausgezeichnet. Er erhielt den Förderungspreis der „Theodor-Körner-Stiftung“ (1964), den „Theodor-Innitzer-Preis“ (1966), den „Landeskulturpreis für Geisteswissenschaften des Landes Oberösterreich“ (1990) und den „Wissenschaftspreis des Landes Tirol“ (2002) sowie den „Wilhelm-Hartel-Preis“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (2008). 2021 hat ihm die Universität Innsbruck das Ehrendoktorat verliehen.

Alle, die Alfred Doppler begegnet sind oder mit ihm zusammengearbeitet haben, wussten neben seiner fachlichen Kompetenz auch seine menschenfreundliche Art in privaten Begegnungen zu schätzen. Er wird der germanistischen Kommunität nicht nur als Forscher, sondern auch als außergewöhnliche Persönlichkeit fehlen.

Adalbert Stifter schreibt in einem Kondolenzbrief vom 9. November 1861 an seinen Wiener Freund Joseph Türck: „Die Lücke bleibt.“ Und sinngemäß heißt es: Wir können nur versuchen, sie mit unserem Gedenken und unseren Erinnerungen zu füllen.

Wir werden Alfred Doppler in dankbarer Erinnerung behalten und ihm ein ehrendes Andenken bewahren.