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Marie Herzfeld

Foto: M. Larisch, Wien; © Bildarchiv Austria / ÖNB, Wien

(auch: H. M. Lyhne, Marianne Niederweiden)
Geb. 20.3.1855 in Güns (heute: KÅ‘szeg, Ungarn), gest. 22.9.1940 in Mining (OÖ).
Wirkte vor allem als Übersetzerin und Literaturvermittlerin ab dem Fin de siècle bis in die 1920er Jahre.

Die Tochter eines jüdischen Arztes, der später zum Katholizismus konvertierte, wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf - ihr Bruder Karl August (1861-1926) war ein bekannter Gynäkologe. In Wien studierte sie Skandinavistik - damit war Herzfelds literarisch-kultureller Weg vorgezeichnet, machte sie sich doch insbesondere als Übersetzerin zeitgenössischer dänischer, norwegischer und schwedischer Literatur ins Deutsche einen Namen. Dazu zählen Autoren wie Björnstjerne Björnson, Arne Garborg, Knut Hamsun, Ola Hansson oder Sophus Michaëlis. Parallel dazu gab sie die erste deutschsprachige Gesamtausgabe des dänischen Schriftstellers Jens Peter Jacobsen heraus und verfasste zahlreiche Kritiken sowie Essays für Periodika wie die Moderne Dichtung, Wiener Literaturzeitung, Moderne Rundschau, Zeit oder Frankfurter Zeitung. Einige ihrer Aufsätze finden sich in den beiden Bänden Menschen und Bücher (1893) und Die skandinavische Litteratur und ihre Tendenzen (1898) wieder.

Als einer der Schlüsseltext, der das Lebensgefühl um 1900 deutlich zum Ausdruck bringt, kann der von ihr 1893 aus dem Norwegischen übersetzte Roman Müde Seelen (Originalausgabe 1891) Arne Garborgs gelten. Herzfeld verfasste selbst einen Aufsatz mit dem paradigmatischen Titel Fin-de-siècle, in dem sie die "Uferlosigkeit der Gegenwart" (1990, 261) feststellt, in der sich "das Tempo unseres Lebens verzehnfachte und unsere Körperkraft wohl kaum verdoppelte." (ebd., 260) Ihre kulturgeschichtlichen Analaysen sind treffsicher und von einem "Blick auf das Randständige" (Renner 2001, 115) begleitet. Für Peter de Mendelssohn ist Herzfeld "eine der gescheitesten und kenntnisreichsten Frauen ihrer Zeit" (ebd., 121).
Von 1901 bis 1919 war sie Präsidentin des "Vereins der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien". Sie stand mit vielen Kulturschaffenden ihrer Zeit wie Marie Ebner von Eschenbach, Karl Emil Franzos, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal oder Rainer Maria Rilke in freundschaftlichem Kontakt, was zahlreiche Briefwechsel belegen.

Einen weiteren Schwerpunkt ihres Schaffens bildete die Übersetzung, Herausgabe und Kommentierung von Werken der italienischen Frührenaissance, insbesondere in Form einer 1910-27 erscheinenden Reihe im Verlag Eugen Diederichs in Jena, wo sie auch als Beraterin wirkte. Bereits 1904 kam ihre viel beachtete Monografie über Leonardo de Vinci heraus; im selben Jahr erhielt sie den Bauernfeld-Preis.
Ihre späteren Lebensjahre verbrachte Herzfeld im böhmischen Aussig (heute: Ústí nad Labem), zuletzt zog sie 1937 nach Oberösterreich in den bei Braunau gelegenen Ort Mining, wo sie 85-jährig verstarb.

Bernhard Judex

 

Menschen und Bücher. Literarische Studien. Wien 1893 - Die skandinavische Litteratur und ihre Tendenzen nebst anderen Essays. Berlin, Leipzig 1898. - Leonardo da Vinci. Der Denker, Forscher und Poet. Ausgew., übers. und eingel. von Marie Herzfeld. Leipzig 1904. - Das Zeitalter der Renaissance. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der italienischen Kultur. Jena 1910-27. - Fin-de-siècle. In: Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Hg. von Gotthart Wunberg unter Mitarb. von Johannes J. Braakenburg. Stuttgart 1990 (1981), 260-265.

Gallagher, Karen: Marie Herzfeld. German Nationalist or Modern Cosmopolitain. In: Suzanne Kirkbright: Cosmopolitains in the Modern World. Studies on a Theme in German and Austrian Literary Culture. München 2000, 82-95. - Dies.; Lehnert, Herbert (Hg.): Elf Briefe Rilkes an Marie Herzfeld. Mit einem Brief Stefan Zweigs an Marie Herzfeld. In: Rudi Schweikert (Hg.): "Auf geborgtem Boden". Rilke und die französische Sprache. Frankfurt/Main 2005, 203-229. - Hofmannsthal, Hugo von: Briefe an Marie Herzfeld. Hg. von Horst Weber. Heidelberg 1967. - Renner, Ursula: "Für eine kleine kulturwissenschaftliche Literatur" (der Kommentare): Marie Herzfeld. In: Cultural Turn. Zur Geschichte der Kulturwissenschaften. Hg. von Lutz Musner, Gotthart Wunberg und Christina Lutter. Wien 2001, 111-133 (auch: www.publikationen.ub.uni-frankfurt.de files/ 14550/ renner_marie_herzfeld.pdf). - Spiel, Hilde: Jewish Women in Austrian Culture. In: Josef Fraenkel (Hg.): The Jews of Austria. Essays on Their Life, History and Destruction. London 1967, 97-110. - Stummann-Bowert, Ruth: Briefe an Marie Herzfeld (17.3.1893 - 7.1.1902). In: Hans-Peter Wehlt (Hg.): Briefe als Zeugnisse eines Frauenlebens. Detmold 2003, 281-326. - Strümper-Krobb, Sabine: Crossing the Boundaries of Languages and Literatures: Marie Herzfeld (1885-1940) as a Mediator of Scandinavian Literature around 1900. In: Caroline Bland und Elisa Müller-Adams (Hg.): Frauen in der literarischen Öffentlichkeit 1780-1918. Bielefeld 2007, 215-236. - Zucker, Katharina: Marie Herzfeld als Vermittlerin skandinavischer Literatur im Wien der Jahrhundertwende. Dipl.-Arb. Univ. Wien 2001.