Das Werk des österreichischen Schriftstellers Michael Köhlmeier ist so umfangreich wie vielschichtig. Darin spielen zeithistorische Analysen eine genauso große Rolle wie die Märchen, die in einem zeitlosen Raum zu spielen scheinen, aber doch Auskunft geben über das allzu menschliche Hier und Jetzt. Köhlmeier vermag vertrackte Liebesdramen und schlimme Familienzusammenbrüche zu erzählen, er hat elegante Exkurse über die Schönheit der Literatur und die Hässlichkeit der Politik geschrieben, und in diesem nahezu schillernd klugen OEuvre nimmt sein fast 800 Seiten umfassender Roman „Abendland“ einen zentralen Platz ein. In diesem Prosawerk scheinen die großen Themen und wichtigen Figuren des Homme de lettres aufgehoben zu sein: Sebastian Lukasser, Köhlmeiers Alter Ego, erzählt die Lebensgeschichte des exzentrischen Mathematikers, Weltbürgers und Jazzfans Carl Jacob Candoris. Es entsteht nicht nur ein Panorama des 20. Jahrhunderts, sondern auch das Psychogramm einer berührenden Freundschaft. Köhlmeier berichtet von den erstaunlichen Zufällen in der Geschichte, den Ungerechtigkeiten in den Lebensläufen, von der Lust an der Liebe genauso wie am Betrug, es geht um die Frage, wie heimatliche Prägung und geistige Emanzipation sich bedingen, wie alles mit allem zusammenhängt bzw. die für den Literaten noch viel gravierendere Herausforderung, wie sich all das Zersplitterte der Welt zusammenhängend und sinnhaft erzählen lässt. … (Carsten Otte)
MICHAEL KÖHLMEIER, geboren 1949 in Hard am Bodensee, lebt in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Publikationen u. a.: Romane „Abendland“, 2007; „Madalyn“, 2010; „Die Abenteuer des Joel Spazierer“, 2013; „Spielplatz der Helden“, 2014, Erstausgabe 1988; „Zwei Herren am Strand“, 2014; „Das Mädchen mit dem Fingerhut“, 2016, und „Bruder und Schwester Lenobel“, 2018; Gedichtbände „Der Liebhaber bald nach dem Frühstück“, 2012, und „Ein Vorbild für die Tiere“, 2017; „Der Mann, der Verlorenes wiederfindet“, 2017. Michael Köhlmeier wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis 1988, dem Manès-Sperber-Preis 1993, dem Anton-Wildgans-Preis 1996 und 2017 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk.
CARSTEN OTTE, geboren 1972 in Bad Godesberg, studierte Philosophie in Berlin, arbeitet als SWR Literaturkritiker in Baden-Baden. Kritiken auch u. a. in „taz“, „Die Presse“ und „Zeit Online“.
Ein Gemeinschaftsprojekt der Alten Schmiede, Wien, des StifterHauses Linz und des Literaturhauses Graz